Wie geht es den deutschen Fahrradfachhändlern in Zeiten von Corona und dem politischen Appell zu „Social distancing“? Tim Böhme war bei einem der größten Radhändlern Hessens, der Fahrrad Denfeld Radsport GmbH in Bad Homburg, und sprach mit Juniorchef Marc Denfeld über die aktuelle Situation.
Herr Denfeld, mir war aufgrund der aktuellen Presselage nicht klar, ob Radgeschäfte nun „systemrelevant“ sind und offenbleiben oder geschlossen werden. Was ist denn der Stand der Dinge?
Ich kann nur für unseren Standort in Bad Homburg sprechen. Unser Ladengeschäft hat für die Abgabe und Abholung von Reparaturen geöffnet. Der Hol- und Bring-Service sowie die Werkstatt laufen ebenfalls weiter. Wie es in anderen Bundesländern oder gar Regionen aussieht, kann ich nicht sagen, da es unterschiedliche Regelungen gibt. In Berlin hat zum Beispiel auch der Radverkauf noch offen. Ich würde jedem empfehlen, sich vor dem Besuch beim Radhändler über dessen Homepage zu informieren.
Wer ein Rad nutzen will, kann immer noch eines bei Ihnen kaufen oder in der Werkstatt instand setzen lassen?
Ja, unsere Antwort auf die Coronakrise heißt Click & Collect heißt. Kunden können ihr Rad bei uns online bestellen und in der Warenausgabe abholen, oder wir bringen es mit unserem Bring-Service fahrfertig direkt zum Kunden nach Hause. Das gilt für Kunden in unserer Region; deutschlandweit versenden wir via Spedition.
Es scheint, als wären Sie für diese Situation gut gerüstet.
Naja, ich würde sagen, wir stellen uns dieser speziellen Situation, so gut es eben geht. Unser Verkaufsteam verlegt seine Leistung nun mehr in den digitalen und telefonischen Bereich. So beraten unsere Mitarbeiter Kunden aktuell am Telefon. Auch die Werkstatt haben wir aufgestockt mit Mitarbeitern aus der Neuradmontage, um schnelle Reparaturen gewährleisten zu können.
Das klingt vernünftig und so, als ob Sie damit auch einen Beitrag zur Eindämmung der Coronakrise leisten. Das Fahrrad jetzt zu nutzen, wird ja vielfach von Politikern und Medizinern empfohlen.
In Zeiten von „Social distancing“ im Straßenverkehr und der Stärkung der Lunge durch leichte sportliche Betätigung wird dem Fahrrad eine wichtige Rolle zugewiesen, die Corona-Pandemie einzudämmen, das stimmt. Klar wollen wir hier auch einen Beitrag leisten und den Menschen durch eine gute Beratung und schnellen Werkstattservice zum Radfahren verhelfen. Rein wirtschaftlich haben wir aber genauso mit der Krise zu kämpfen wie viele andere Großbetriebe auch. Wir haben über 90 Mitarbeiter und fixe Kosten, und dieser Service ermöglicht es uns, einen Teil unserer Aktivitäten aufrecht zu erhalten.
Wie hat sich die Krise auf ihr Unternehmen ausgewirkt und wie gehen sie damit um?
Wir haben schon in der Woche vor Schließung des Ladenverkaufs einen spürbaren Rückgang an Kunden festgestellt. Die Leute wurden vorsichtiger und mieden große Geschäfte wie unseres. Damit bricht uns natürlich ein Großteil des Umsatzes weg, der mit dem Werkstattbetrieb nicht aufgefangen werden kann. Wir beraten uns gerade intern, ob wir auf Kurzarbeit umstellen müssen. Unsere Mitarbeiter zeigen sich aber sehr solidarisch in dieser Situation und nehmen zum Beispiel überschüssige Urlaubstage. Wir unternehmen Aufstockungen im Rahmen gesetzlicher Möglichkeiten, damit alle Mitarbeiter mit möglichst wenig Einschnitten in der gerade psychologisch belastenden Phase ihren Lebensunterhalt stemmen können. Wir wissen aber nicht, wie es weitergeht, und stellen uns auf eine Ausgangsperre ein. Was das dann für Auswirkungen hat, können wir nicht abschätzen. Wir stehen aber voll hinter unseren Angestellten; zum Beispiel haben wir erst vor ein paar Tagen neue Mitarbeiter eingestellt, denen wir schon eine Jobzusage gegeben haben. Gute Leute muss man einstellen – irgendwann ist die Krise ja wieder vorbei.
Was würden Sie sich von der Politik wünschen? Erfahren Sie Hilfe von der Zweirad Einkaufs Genossenschaft (ZEG), deren Mitglied Sie sind?
Von der Politik würden wir uns ein klares Signal für ein „Pro Fahrrad“ wünschen. Wir sind schließlich mit unseren Werkstätten ein Teil der Krisen-Mobilitätsversorgung. Auch der Verkauf sollte für Fahrräder wieder geöffnet werden, um Menschen, die bisher noch nicht mit dem Fahrrad mobil waren, einen Zugang zu verschaffen. Große Hilfe erfahren wir tatsächlich über die ZEG! Unser Vorstand Herr Honkomp macht sich für uns Fahrradfachhändler auf breiter politischer Ebene stark und hat sich direkt an die Spitzenpolitiker Altmaier, Laschet und Spahn gewandt.
In welcher Form?
Der Vorstand der ZEG mit Herrn Honkomp und Herrn Hageböck hat einen Brief an die genannten Politiker geschrieben und auf die Mobilitätssystemrelevanz des Fahrrades hingewiesen. Immer mehr Menschen steigen nun aufs Fahrrad, um ohne Ansteckungsgefahr mobil zu sein. Um dies allerdings weiterhin zu gewährleisten, bittet der Vorstand, dass Fahrradbetriebe mit Werkstätten in Deutschland, wie in den europäischen Nachbarländern auch, von den Schließungsbeschlüssen auszunehmen.
Was würden Sie sich persönlich in dieser Krise wünschen?
Dass die Menschen weiterhin zum stationären Handel halten und Fahrräder und Zubehör beim regionalen Händler online bestellen, anstatt einfach zu Onlineshops zu wechseln. Und dass auch in den Medien klarer kommuniziert wird, dass beim Fahrradfachhandel der Werkstattbetrieb offen hat und eine Fahrradmobilität gewährleistet.
Marc Denfeld, vielen Dank für dieses offene Interview. Ihnen und Ihren Mitarbeitern alles Gute – und bleiben sie gesund.
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